Gewalt in der Ehe: Wenn schwere Körperverletzung den Versorgungsausgleich ausschließt
Gewalt in Beziehungen ist keine Seltenheit – und hat gravierende Folgen
Gewalt in Ehe und Partnerschaft ist leider noch immer Alltag für viele Menschen in Deutschland. Laut aktuellen Zahlen werden jedes Jahr mehr als 250.000 Menschen Opfer von häuslicher Gewalt – und in fast 80 Prozent der Fälle sind die Betroffenen Frauen. Besonders alarmierend: Jede dritte Frau erlebt im Laufe ihres Lebens mindestens einmal Gewalt durch den (Ex-)Partner. Die Polizeistatistik bildet dabei meist nur die Spitze des Eisbergs ab, denn viele Vorfälle werden aus Angst, Scham oder Unsicherheit nicht gemeldet.
Die Formen
der Gewalt reichen von psychischer Erniedrigung und Kontrolle bis hin zu
gefährlicher Körperverletzung oder gar Tötungsdelikten. Wird eine Beziehung
gewalttätig, können die Folgen für das Opfer schwerwiegend und dauerhaft sein.
Eine besonders dramatische Folge ist etwa das Erblinden eines Ehegatten nach
tätlichem Angriff. Doch welche rechtlichen Konsequenzen hat so ein Fall –
insbesondere beim Versorgungsausgleich nach einer Scheidung?
Was ist
der Versorgungsausgleich und wozu dient er?
Der Versorgungsausgleich
ist Teil des Familienrechts und regelt, wie die während der Ehe erworbenen
Renten- und Versorgungsanrechte bei einer Scheidung zwischen den Ehepartnern
aufgeteilt werden. Sinn und Zweck ist es, einen gerechten Ausgleich zu schaffen
– besonders für den Partner, der während der Ehe etwa zugunsten von Haushalt
und Familie auf eigene Erwerbstätigkeit verzichtet hat und damit weniger
Rentenansprüche aufbauen konnte.
In der Regel
gilt dabei: Was während der Ehe an Rentenpunkten und Versorgungsansprüchen
erworben wird, wird bei der Scheidung gerecht zwischen den Partnern aufgeteilt.
Die
Härteklausel: Versorgungsausgleich kann bei grober Unbilligkeit ausgeschlossen
werden
Doch von
diesem Grundsatz gibt es eine wichtige Ausnahme: § 27
Versorgungsausgleichsgesetz (VersAusglG). Demnach kann der
Versorgungsausgleich ganz oder teilweise ausgeschlossen werden, wenn seine
Durchführung „grobe Unbilligkeit“ wäre. Die sogenannte Härteklausel will
verhindern, dass ein schwer fehlverhaltender Ehegatte von den Rentenansprüchen
seines Opfers profitiert. Aber was heißt das konkret?
Juristische
Voraussetzungen laut Gesetz und Rechtsprechung:
- Schwere Straftat im Nahbereich: Es muss eine besonders
schwerwiegende Straftat gegen den Ehepartner oder dessen nahe Angehörige
vorliegen, typischerweise schwere gefährliche Körperverletzung oder gar
Tötung.
- Gravierende Folgen für das Opfer: Die physischen oder psychischen
Nachwirkungen müssen so gravierend sein, dass es „unerträglich erscheint“,
dem Täter dennoch Versorgungsausgleich zu gewähren.
- Auch eine einmalige Tat genügt: Ein einzelner, aber gravierender
körperlicher Übergriff reicht aus – es müssen nicht wiederholte
Misshandlungen sein.
Beispiel
aus der Praxis: Erblindung nach Tätlichkeiten in der Ehe
Wie sieht das
konkret aus? Ein aktueller Fall vor dem Oberlandesgericht Stuttgart macht
deutlich, wie Gerichte bei schwerer Gewalt entscheiden:
Die Situation:
Eine Ehefrau wird von ihrem Mann auf offener Straße mit wiederholten
Faustschlägen attackiert. Die Folgen sind dramatisch: Sie erleidet einen
Dauerschaden und verliert das Sehvermögen auf einem Auge, sodass ein Glasauge
eingesetzt werden muss.
Die
rechtliche Beurteilung:
- Die Tat ist als schwere
Körperverletzung nach § 226 Abs. 1 Nr. 1 StGB einzustufen.
- Die langanhaltenden und
tiefgreifenden Folgen der Erblindung belasten die Frau nachhaltig –
sozial, psychisch, finanziell und im Alltag.
- Seit dem Übergriff leben die
Ehepartner getrennt, und der Täter hat nie Unterhalt gezahlt oder zur
Versorgung der Familie beigetragen.
- Der Täter hätte nach einer
Scheidung grundsätzlich Anspruch, an den während der Ehe erworbenen
Rentenansprüchen der Frau zu partizipieren.
Das
Urteil:
Was sagt
die Rechtsprechung zu anderen schweren Fällen?
Auch andere
Gerichte sehen das ähnlich. Wiederholte, aber auch einmalige besonders schwere
Übergriffe – etwa Schläge mit Gegenständen, lebensgefährliche Verletzungen oder
Taten, die zur längeren Arbeitsunfähigkeit führen – können zum vollständigen
oder teilweisen Ausschluss des Versorgungsausgleichs führen. Es kommt stets auf
die Gesamtabwägung im Einzelfall an:
- Wirtschaftliche Lage und Dauer
der Ehe werden
mitberücksichtigt, etwa wenn die Partner schon lange getrennt leben und
finanziell unabhängig sind.
- Nicht jede körperliche Attacke
reicht aus:
Normale Streitigkeiten, psychische Gewalt oder leichte körperliche
Auseinandersetzungen im Zuge der Trennung genügen meist nicht für den
Ausschluss.
Welche
Folgen hat das für Betroffene?
Wer als Opfer
schwerer Gewalt in der Ehe nach einer Scheidung mit dem Problem des
Versorgungsausgleichs konfrontiert wird, sollte Folgendes wissen:
1. Dokumentation
ist alles:
- Halten Sie medizinische
Gutachten, Berichte, Strafanzeigen und Zeugenaussagen sorgfältig fest.
- Klären Sie mit Ärzt:innen und
Psycholog:innen die Langzeitfolgen.
2. Juristische
Beratung nutzen:
- Suchen Sie frühzeitig
Spezialist:innen für Familienrecht, wenn Sie Opfer schwerer Gewalt wurden.
- Das Familiengericht entscheidet
im Versorgungsausgleichsverfahren, ob die Härteklausel greift – die
Erfolgsaussichten steigen mit guter Vorbereitung und umfassenden
Dokumenten.
3. Prävention
und Hilfe:
- Gewalt in der Ehe ist nie zu
rechtfertigen. Unterstützung finden Betroffene bei Anlaufstellen wie dem
Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“, bei Beratungsstellen und in
vertraulichen Gesprächen.
4. Verlässliche
Einzelfallprüfung:
- Gerichte betrachten jeden Fall
individuell. Es gibt keinen Automatismus – aber schwere, dauerhafte Folgen
nach einem Übergriff sind ein starkes Argument für den Ausschluss des
Versorgungsausgleichs.
Gesellschaftlicher
Hintergrund: Gewalt in Partnerschaften ist ein drängendes Problem
Die Zahl
schwerer (auch tödlicher) Gewalttaten in Beziehungen steigt. Zuletzt wurden in
Deutschland über 155 Frauen von ihren (Ex-)Partnern getötet und mehr als 12.900
Frauen schwer oder gefährlich verletzt – Tendenz steigend. Und auch Männer sind
Opfer, wenngleich deutlich seltener: Rund 35.000 Männer wurden 2023 Opfer von
Partnerschaftsgewalt. Die Dunkelziffer ist hoch – nicht jede Tat wird angezeigt
oder vor Gericht gebracht.
Fazit:
Opfer schwerer Gewalt in der Ehe dürfen vor zusätzlicher Benachteiligung
geschützt werden
Das Recht
schützt die Opfer schwerer Gewalt in der Ehe – und zwar auch im
Versorgungsausgleich. Wer durch besonders schwere Straftaten wie gefährliche
Körperverletzung (etwa Erblindung durch Tätlichkeiten) massive gesundheitliche
und soziale Nachteile erleidet, muss nicht hinnehmen, dass der Täter im Alter
von seinen Rentenansprüchen profitiert. Die Gerichte sorgen durch die
Härteklausel in § 27 VersAusglG dafür, dass die Gerechtigkeit gewahrt bleibt.
Betroffene
sollten alle Hilfen nutzen und sich gezielt informieren – und wissen, dass auch
das Recht ihnen in schwersten Fällen zur Seite steht.
Weiterführende
Links & Hilfeangebote
- Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen –
jede Zeit, kostenfrei
- Informationen
des Bundesministeriums zur Prävention, rechtlichen Hilfe und Statistik
- Fachberatungen zum
Familienrecht und Versorgungsausgleich
Quellen:
Gerichtsurteile und juristische Fachliteratur: OLG Stuttgart vom 27.01.2025 –
11 UF 222/24, OLG Brandenburg vom 30.04.2019 – 13 UF 43/17, OLG Brandenburg vom
15.04.2019 – 13 UF 132/18.
Aktuelle Statistiken der Bundesministerien und Beratungsstellen: BKA, UN Women,
Bundesstiftung Gleichstellung, Hilfetelefon, Tagesschau.
fth | 03. Nov 2025 | Zu Recht !!

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